Das Stück Das Alte Dorf ist sicher eines der Highlights auf dem Kampnagel Sommerfestival 2025. Aufgeführt in Hamburg-Volksdorf im Museumsdorf von Nesterval, der Theatergruppe mit Kultstatus aus Wien. Das Stück dreht sich um Heimat, Liebe, Moral, Niedertracht und ein dunkles Geheimnis.
Für mich ein besonderer Moment, den Regisseur Martin Finnland gleich nach der Premiere zu erwischen und ihm einige Fragen zu dem Stück und der Arbeitsweise stellen zu können.
10 Fragen an Martin Finnland
Kay Dethlefs: Wie ist jetzt der Ausgangspunkt dieser Choreografie, wie beginnt das? Das sind ja diese diversen Parallelhandlungen und das ist ja fein abgestimmt. Das ist ja ein starkes Timing, und Koordination ist dann ja alles.
Martin Finnland: Das natürlich, ja. Es ist aber auch einfach sehr viel Probenzeit dahinter, die wir als Ensemble in dieses Stück rein investiert haben. Und man kennt sich, man weiß natürlich auch, wann, wie lange braucht jemand, um eine Szene zu spielen, auch wenn die Improvisation dabei ist, wann muss ich in die nächste Szene gehen. Dazwischen sind natürlich auch immer musikalische Zeichen oder Cues, wie wir dazu sagen, wo man dann weiß, okay, jetzt sollte ich aber spätestens losgehen an meinen neuen Ort.

Frage: Diese Welt in dem alten Dorf ist ja in Teilen abgründig und auch morbide, und es ist alles sehr von gestern. Und es ist eine teils unschöne Seite von einem alten Dorf.
Martin Finnland: Ja, und auch wenn wir es bewusst natürlich in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts gesetzt haben, diese Dörfer gibt es noch immer, diese Geschichten gibt es noch immer, und das ist eigentlich das, was wir erzählen wollen, also diese Strukturen nach innen, die nichts von außen zulassen wollen können, diese Angst vor dem Fremden. Und da, pardon, wenn ich das auch sage, ist ja Deutschland nicht anders als Österreich. Und wenn wir uns die Wahlen in quasi Ostdeutschland anschauen, wo die AfD stimmenstärkste Partei in gewissen Orten ist, ja, also das Dorf ist in Deutschland genauso wie in Österreich überall.

Frage: Und wie geht ihr da vor? Es gibt eine Grundidee, einen Plan, wie ist die Arbeitsweise?
Martin Finnland: Die ist tatsächlich immer a bissi verschieden zu anderen Produktionen. Bei der Produktion war natürlich dieser Haupterzählstrang von der Annalisa die Ausgangslage für alles. Und tatsächlich, aber auch so die bewusste Überlegung, wenn man in einem Dorf lebt, natürlich bekommt jeder diese Geschichte mit, aber jeder aus einem anderen Blickwinkel.
Und deswegen ist es natürlich ein ganz ein anderer Abend, wenn man das von der untersten Magd, der Erntraut miterlebt, als wenn man jetzt beim reichen Bauernsohn ist, der ja eigentlich jeder Herrscher im Dorf ist.

Frage: Ihr beschreibt Euch ja selbst als, ist das richtig, queeres Volkstheater. Ja, was genau bedeutet dieser Begriff?
Martin Finnland: Ein Großteil unseres Ensembles ist tatsächlich queer. Das heißt, wir haben ganz viele Menschen im Ensemble, die sich jetzt nicht als klassisch heterosexuell bezeichnen würden.
Es gibt wahnsinnig viele Facetten in diesem Spektrum. Ich selber bin zum Beispiel einfach schwul und bin mit einem Mann verheiratet, und diese Komponente bringen wir auch in all unsere Stücke irgendwo rein.
Mal mehr, mal weniger hier, hier in dem Stück ist es zum Beispiel einfach. einfach nur, dass wir Geschlechterrollen auch hinterfragen und zwei Rollen verkehrt herum besetzt haben. Also die alte böse Husso wird bei uns von einem Mann gespielt, und das war jetzt aber nie die große Strategie, sondern für mich ist es so, wie Theater eigentlich sein sollte: Nämlich, dass man einen Menschen sieht und das war damals bei uns der Willi, wo ich mir gedacht habe, der ist doch die perfekte Besetzung für die Husso. Da spielt‘s doch überhaupt keine Rolle, ob der jetzt ein Mann ist oder nicht. Er ist für mich die Husso. Und genau das muss und das darf Theater heutzutage einfach auch sein.

Frage: Wobei ihr schon sehr weit vorne seid mit dem Theaterbegriff, richtig? Also es ist ja nun doch dieses immersive Theater, es ist ja doch ganz anders. Dieses Erlebnis ist ja ein komplett anderes.
Ja, aber natürlich, aber auch diese quasi Immersive Theaterform könnte man natürlich auch wahnsinnig konservativ gestalten, also wir könnten natürlich trotzdem allen Klischees treu bleiben und ein rein weißes Ensemble haben, wo alle als Männer geborenen Personen Männerrollen spielen und umgedreht. Also insofern, das ist schon nochmal eine bewusste zusätzliche Entscheidung. Ich glaube, das hat nichts mit dem Immersiven Theater zu tun.

Ich fand es jetzt für mich als Zuschauer, als Beteiligten, doch am Anfang recht anspruchsvoll: Also, wir gehen in der Zeit zurück. Es gibt Spiele zu gewinnen, es ist schon durchdacht und etwas knifflig.
Martin Finnland: Das ist knifflig, aber diese ganze Thematik, die es im Dorfleben bei uns im Stück gibt, aber die es natürlich auch in realen Leben überall gibt, die ist einfach zum Teil so ernst und so traurig, dass wir uns dramaturgisch ganz bewusst entschieden haben, die Geschichte zurück zu erzählen.
Und wir gehen ja von dieser Ernsthaftigkeit und dieser Trauer, und Wut, die im Dorf vorherrscht, immer einen Tagsschritt zurück, bis wir eigentlich in einem absolut überzeichneten Heimatkitsch, Roman enden, wo alle immer lachen und fröhlich sind.
Es hilft aber auch, die Thematik zu verarbeiten und dieses Stück besser aufzunehmen, ist zumindest mein Zugang, weil, natürlich jeder kann am Abend mit einem leichten Gefühl rausgehen, aber niemand wird vergessen, wie dieses Stück begonnen, oder eigentlich chronologisch gesehen, geendet hat.

Frage: Wie viele Dialekte haben wir heute hier gehört?
Martin Finnland: Vermutlich neun oder zehn verschiedene Dialekte, weil wir natürlich nicht den einen österreichischen Dialekt sprechen, sondern tatsächlich greifen alle PerformerInnen auf ihren Ursprungs-Dialekt zurück.
Frage: ... den Sie einmal in Österreich erlernt haben, in ihren Dörfern, so gesehen?
Ja genau, es ist ganz ganz viel in diesem Stück von uns als PerformerInnen drinnen. Nicht nur natürlich vom Dialekt, sondern auch von diesen Geschichten.
Und diese Geschichten, die bei uns im alten Dorf passieren, kennt aber auch tatsächlich fast jeder aus seinem eigenen Dorf.
Frage: Ist das wirklich so echt und so nah an den Menschen dran? Die kennt ihr, die Geschichten?
Martin Finnland: Tatsächlich ja. Also einerseits basiert es natürlich auf dem finnischen Roman von Minna Canth(1844-1897): Anna-Liisa – die Grundgeschichte über die Hochzeit. Aber ich bin ja auch ein Bauernbub und mit einer Mutter, die in den 60er Jahren aus Finnland, aus Helsinki als Akademikerin, zu diesem Bauern, der mein Vater war, nach Österreich gezogen ist. Und das heißt, es gibt natürlich auch ganz viel Familiengeschichte von mir in dem Stück drinnen.
Der Nachname Finland, ist der jetzt echt?
Martin Finnland: Nein, es ist also ein Künstlername, der aber mittlerweile schon seit Jahren mein Realname geworden ist. Also ich habe den ändern lassen und ja, es ist quasi meine Ehrerbietung an meine Mama gewesen.
Vielen Dank an Martin Finnland, der sich gleich nach der Premiere die Zeit für dieses Interview genommen hat. Und danke an Kristin Niemann von Kampnagel, die dieses Gespräch möglich gemacht hat.
Der Link zum Kampnagel Sommerfestival
Kampnagel Sommerfestival
Der Link zur Website des Theater-Kollektivs Nesterval
Nesterval
Autor: Kay Dethlefs
Kommentare von Kay Dethlefs