Sie kann es bis heute noch nicht ganz fassen. Die Hamburger Kunststudentin Greta Rauer hat im vergangenen Sommer gerade ihren Bachelor in der Tasche. Und dann passiert das: Die Kunsthalle Hamburg will Werke aus ihrem Studium im Rahmen der Gruppenausstellung „Trauern – von Verlust und Veränderung“ zeigen. Damit wird die 25jährige in einer Reihe mit Größen wie Rosemarie Trockel, Thomas Schütte und Andy Warhol genannt. Eine kleine Sensation! Das Angebot der Kunsthalle: Einen ganzen Raum darf die junge Künstlerin nutzen, um ihre Motive und Szenen einer Beerdigung zu präsentieren.

Plötzlich Kunsthalle

Die Bilder hat sie an der Kunsthochschule (HFBK) angefertigt, wo sie studiert. Dort hängen auch einige ihrer Motive im vergangenen Juni in der Ausstellung mit denen anderer Absolventen des Jahrgangs. Welch glücklicher Zufall, dass einer Kuratorin der Kunsthalle ihre Bilder auffallen. Bei unserem Treffen auf dem Campus der Uni sagt Greta Rauer: „Ich dachte bis zum Schluss: Das wird nichts. Denn das ist ja schon eine Hausnummer, wenn man von ‚keiner Ausstellung‘ zu so einer großen Ausstellung kommt.“

© Malerei und Installation, Greta Rauer, Kunsthalle Hamburg
© Malerei und Installation „Fragmente“, Greta Rauer, Kunsthalle Hamburg
© Greta Rauer, Kunsthalle Hamburg 2020

Hamburg Arts (HA): Als Studentin mit den eigenen Bildern in der Kunsthalle. Wie ist das, in so jungen Jahren diesen Schritt zu machen?

Greta Rauer: „Es ist super schön, weil man sonst häufig auch mal nicht so viel gutes Feedback bekommt in der Kunsthochschule. Und auf einmal bekommt man von einer anderen Institution so ein großes Feedback, daß sie einem erstens als Person zutrauen, seine Arbeiten vor anderen zu präsentieren, und dann aber auch, daß sie die Arbeiten an sich schon so aussagekräftig genug finden, daß sie da ohne mich hängen können. Das ist auch ein supergroßes Kompliment und auch das Feedback, das ich bisher bekommen habe, war rundum positiv und sehr wertschätzend.“

„Greta Rauers kleinformatige Gemälde geben ausschnitthaft Pathosformeln einer deutschen Trauerfeier wieder, in denen die bleierne Schwermut und der Schmerz des Abschiednehmens spürbar werden.“

Hamburger Kunsthalle 2020

HA: Wie kommt denn eine junge Studentin, eine Künstlerin, überhaupt zu dem Thema Trauer?

Greta Rauer: „Das war sehr persönliches Thema, weil ich mit 14 meinen Papa verloren habe, und auf der Beerdigung wurden Fotos gemacht, von denen ich aber gar nichts grossartig mitgekriegt habe, also davon, dass da jemand war, der Fotos gemacht hat, habe ich nichts mitbekommen. Und die Fotos habe ich erst letztes Jahr, als ich meinen Abschluss gemacht habe, wieder gefunden. Und das fand ich super interessant und ich habe mir dann überlegt, dass ich gerne dazu etwas machen möchte, und habe dann irgendwie versucht in den Malereien mein Beobachten von der Trauer, die die Gäste dort zum Ausdruck gebracht haben, zu visualisieren. Und das Thema war ein Thema, das mich aber schon immer beschäftigt hat, und es wird auch ein Thema sein, das einen immer beschäftigt, wenn man irgendwen oder irgendwas schon einmal verloren hat, einen Menschen, ein Haustier, eine Heimat.“

© Greta Rauer, Porträt
© Greta Rauer, Porträt

HA: Und wie denken Sie heute über die Zeit der Trauer, über diese Jahre?

Greta Rauer: „Ich glaube, das war eine schwierige Zeit, vor allem, weil ich dann so schnell erwachsen werden musste, innerhalb von kürzester Zeit, mit 14, früher als alle anderen. Und es war eine Zeit, wo ganz viele sich gar nicht getraut haben, auf mich zuzukommen, weil sie nicht wussten, wie sie damit umgehen sollen, weil sie gar nicht wussten, wie das ist, sowas Dolles, so was Grosses zu verlieren. Und im nach hinein denke ich, dass das so vielleicht eine Ermunterung sein soll, einfach auf Leute zuzugehen, dass es da kein richtig und kein falsch gibt im Umgang mit Trauernden, dass man da keine Angst haben braucht.“

HA: Wann war dann diese Trauerphase beendet?

Greta Rauer: „Ich glaube, es gibt gar nicht so ein richtiges Ende. Das ist auch so ein Sache, die ich festgestellt habe. Es gibt immer mal wieder Phasen, wo es doller ist, wo man die Person dann doller vermisst, und dann wieder Phasen, wo man wochenlang nicht an die Person denkt, aber ich glaube, dass ich damals einen anderen Umgang damit hatte als jetzt. Jetzt kann ich offen darüber reden und sprechen, und weiß, dass es mich als Mensch einfach sehr geprägt hat, und auch positiv weiter gebracht hat, und das hätte ich damals glaube ich nicht sehen können. Da habe ich nur die negativen Aspekte gesehen, und heute sehe ich auch die positiven Aspekte, die mich einfach als Person voran gebracht haben.

HA: Welches wären positive Aspekte im Zusammenhang mit Verlust und Trauer?

Great Rauer: „Das Selbständigsein, dass ich ein sehr grosses Verständnis dafür habe, wenn es Menschen persönlich nicht so gut geht, dass ich sehr empathisch bin, das hat sich dadurch dann noch doller ausgeprägt, dass ich die Momente, in denen es mir gut geht, noch mehr zu schätzen weiss, und in denen ich mit Leuten bin, die mich schätzen, weiss ich umso mehr noch zu schätzen. Also ich genieße mehr, und ich mache mehr, was mir gut tut. Das habe ich daraus gelernt, und dass es wohl eben auch zum Leben dazu gehört. Im Endeffekt, ob jemand früh stirbt oder im hohen Alter, das macht für die Angehörigen nicht so einen großen Unterschied.“

© Greta Rauer, Kunsthalle Hamburg 2020
© Greta Rauer, Kunsthalle Hamburg 2020

HA: Zu dem rein Handwerklichen: Ist das Malerei? Wie lief da der kreative Prozess?

„Also, das sind Malereien, die auf Grundlage der Fotografien entstanden sind, es sind Zeichnungen. Die ersten waren mit Pastellstiften und mit Kreide. Mit den Pastellstiften habe ich angefangen, weil die sehr filigran sind und auch so eine Haptik haben, dass sie halt auch weg wischbar sind. Dass man auch so ein Verschwinden und Kommen wieder hat, auch in dem Material an sich selber. Ich male zuerst mit den Pastellstiften, meistens, und dann gehe ich mit Acrylfarbe rein. Und es sind teilweise Bilder, die Acrylfarbe schon auf dem Untergrund haben, mit grauen Flächen, oder auch eine grüne oder schwarze Fläche Und auf die habe ich dann die Zeichnungen im nach hinein erst eingefügt. Das Material ist Leinwand – es ist ungrundiert, es ist also Leinwandgewebe. Und das fand ich ganz schön, dieses Natürliche, die Ähnlichkeit zum Boden und zur Erde.“

© Greta Rauer, Kunsthalle Hamburg 2020
© Greta Rauer, Kunsthalle Hamburg 2020

HA: In der Kunsthalle fallen die Grabsteine auf, teilweise sind es nur Bruchstücke. Woher kommen diese Grabsteine? 

„Die Grabsteine habe ich in Kooperation mit dem Friedhof Ohlsdorf und Friedhof Öjendorf bekommen. Ich durfte mir dort Steine aussuchen, da werden jährlich Steine vom Friedhof runter genommen, und die müssen zerstückelt werden – eben weil es keine Angehörigen mehr gibt, und die Angehörigen die Steine eben nicht mehr haben wollen, und den Friedhof als Ort der Trauer nicht mehr brauchen.  Die werden dem Friedhof übergeben, die zerkleinern die Steine, und benutzen die hinterher für den Strassen- und Wegbau. Das fand ich anfangs etwas schwierig, weil auch wir als Angehörige auf den Wegen und Strassen gegangen sind, wo dann sozusagen die Grabsteine verarbeitet drin sind. Auf der anderen Seite fand ich es auch ganz schön, weil es auch so einen Kreislauf darstellt  und im Kreislauf bleibt.

© Greta Bauer, "Fragmente"
© Greta Bauer, „Fragmente“, Kunsthalle Hamburg 2020

HA: Sie studieren Kunst, außerdem Englisch und Kunst auf Lehramt, Amerikanistik und Anglistik, warum gleich so viele Studienfächer?

Greta Rauer: „Zur Absicherung. Damit ich auf jeden Fall, wenn es mit der Kunst nicht klappen sollte, einen Plan B habe. Ich glaube, es ist eher eine Sache, die von Zuhause sehr eingeprägt wurde, daß man schon einen sicheren Job haben sollte, daß das freie Arbeiten viele Unsicherheiten mit sich bringt. Ich stehe da aber nicht hinter. Ich denke selber, wenn man das machen möchte, und da eine Leidenschaft hat, dass man da auch Erfolg haben kann. Und dass das dann kein Problem sein sollte.“

© Greta Rauer, Kunsthalle Hamburg 2020
© Greta Rauer, Kunsthalle Hamburg 2020

Trauern – von Verlust und Veränderung

Die Gruppenausstellung in der Hamburger Kunsthalle läuft bis zum 14. Juni. Kuratorin ist Dr. Brigitte Kölle. Es gibt durchgehend ein anspruchsvolles Rahmenprogramm mit Vorträgen, Lesungen und Künstlergesprächen.

http://www.hamburger-kunsthalle.de

© Anne Collier, Woman Crying, Kunsthalle Hamburg 2020
© Anne Collier, Woman Crying, Kunsthalle Hamburg 2020

 

Autor: Kay Dethlefs