Wann reden wir von einem „Konflikt“ und wann von einem „Krieg“? Und wann ist eine „Rettungsmission“ in Wahrheit eine „Invasion“? Synonyme und Euphemismen begegnen uns täglich. Begriffe, die im politischen Marketing gezielt eingesetzt werden, um Sachverhalte zu beschönigen oder zu verschleiern, oder um ganz einfach zu lügen.

Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2020, als Katja Pilipenko den Hiscox-Preis an der Hochschule für bildende Künste (HFBK) gewonnen hatte. Die Künstlerin ist mit dem brandaktuellen Werk „Synonyms“ jetzt im Kunsthaus Hamburg vertreten. Gruppenausstellung.  LOL(L) – EMBODIED LANGUAGE vom 12. März bis zum 01. Mai.

Mit ihrer Arbeit „Synonyms“ hat die Kunststudentin Katja Pilipenko diese manipulative Sprache von Politik und Medien aufgegriffen. Auf 40 Tafeln stellt sie jeweils zwei Begriffe gegenüber, und legt damit offen, wie einzelne Wörter, geschickt ausgewählt, einen Sachverhalt verharmlosen oder verzerren können. Der Clou dabei: Je nach Betrachtungswinkel verschwimmen die Begriffe optisch ineinander und lösen damit leichte Irritationen aus.

Eine engagierte Rettungsmission oder tatsächlich ...
Eine Rettungsmission oder tatsächlich …
... eine kriegerische Invasion?
… eine kriegerische Invasion?

Und hier der visuelle Effekt im Video, mit dem Smartphone in der Ausstellung in der HFBK aufgenommen

 

George Orwells „1984“ – neu entdeckt

Die Künstlerin bezieht sich damit auf den Autor George Orwell, der in seinem Roman „1984“ thematisiert hat, wie mit einer manipulierten und gesteuerten Sprache das Denken und Handeln beeinflusst werden kann: Mit einer künstlich geschaffenen, staatlich verordneten Sprache, Neusprech (Newspeak) genannt, die das Ziel hat, kritisches Denken zu verhindern.

„Neusprech hat nur ein Ziel: den Gedankenspielraum einzuengen!“

„1984“, George Orwell

Für diese Arbeit hat Katja Pilipenko, Studentin an der Hamburger Kunsthochschule (HFBK) den diesjährigen Hiscox-Kunstpreis bekommen. Die international besetzte Jury zeigte sich stark beeindruckt – Die Arbeit zeige „…wie Begriffe in unterschiedlichen Bereichen des öffentlichen Lebens Gewalt normalisieren und wie wichtig es ist, sich zuhörend, sprechend und handelnd immer wieder aktiv zu positionieren.“

© Foto: Mattia Quaglia
© Foto: Mattia Quaglia

Das Interview mit der Künstlerin Katja Pilipenko, die aus Moskau stammt, haben wir auf Englisch geführt. Meine Fragen hat sie mir freundlicherweise schriftlich beantwortet.

Hier der Link zu meinem aktuellen Post zum Thema Ukraine:

https://hamburgarts.de/ich-werde-den-krieg-nicht-malen-ich-bin-nicht-francis-bacon/

Sechs Fragen an Katja Pilipenko

What does the Hiscox Kunstpreis mean to you? How will this prize affect you in the future?

It would be better if the quality of work matters, not the prizes received. Unfortunately, the artist’s CV is crucial in the current art system. Probably because I received the award someone will find my works more appealing, giving me more opportunities.

What is the general approach of your work Synonyms?

At first, I collected information – examples of euphemisms and their use; it was the most prolonged period of work. Next, it was layout and printing. Aesthetically, it is a very minimalistic work. Now I like to use a few tools as in a good sketch – one line that achieves the whole expression. I currently want to include the viewer in my works.

What do you think – being an artist – about language and its synonyms and ambiguities and twofold meanings?

Language is an instrument of power and is used to form a specific image of the world in people’s minds – through speech and the formation of various myths. I wanted to fix this process.

© Foto: Mattia Quaglia
© Foto: Mattia Quaglia

In how far is this piece of art to be considered as a political artwork?

In this artwork, language is adopted as a political tool. The essay“Politics and the English language“ by George Orwell influenced me. Daily modern speech sounds like a dialect from a dystopian world.

You chose a unique technique with these fluent images – how does this work in technical terms? How did you do it?

The technique is called lenticular printing. In my school in Moscow were popular rulers with the image of two changing photos. I remembered it when I thought about the technique for synonyms – it reflects the idea of language instability.

You are dealing here with English expressions, would you say that you have a different view since you are from another country?

This work was done in English to be universally understood. But it is also possible in other languages. I found many examples from Russian media too. In Russia, television and most of the media are pro-governmental and there is a constant substitution of language. Sometimes it comes to absurdity. For example, in 2019 a lot of Russian media were describing gas explosions as „gas pops“. Then they said they did it for „favourable information conditions“ – a very „Orwellian“ formulation.

„Don’t you see that the whole aim of Newspeak is to narrow the range of thought? In the end we shall make thoughtcrime literally impossible, because there will be no words in which to express it.“

„1984“, George Orwell

© Foto: Melina Kamou, Künstlerin Katja Pilipenko in ihrem Atelier
© Foto: Melina Kamou, Künstlerin Katja Pilipenko in ihrem Atelier, HFBK Hamburg

Hiscox Kunstpreis 2020

Der Spezialversicherer Hiscox lobt den Preis für junge NachwuchskünstlerInnen in Kooperation mir der Hochschule für bildende Künste (HFBK) aus. Die international besetzte Jury vergab den Preis in Höhe von 5.000 Euro an Katja Pilipenko (Klasse Prof. Martin Boyce), zwei lobende Erwähnungen gingen an Amy Maga (Klasse Prof. Thomas Demand) und Chenxi Zhong (Klasse Prof. Pia Stadtbäumer), jeweils mit 1.250 Euro dotiert.

„Durch dieses leidenschaftliche Engagement leistet Hiscox einen wichtigen Beitrag für eine unabhängige Entwicklung herausragender Studierender zu Beginn ihrer künstlerischen Karriere, was nicht zuletzt in gesellschaftlichen Krisenzeiten von unschätzbaren Wert ist“, schreibt dazu die HFBK in einem Pressetext.

https://kunsthaushamburg.de/lol-embodied-language/

https://hfbk-hamburg.de/de/studium/f%C3%B6rderungen/hiscox-kunstpreis/

https://katjapilipenko.com/

Autor: Kay Dethlefs