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Pflastersteine, Zeitungen aus Hongkong, und eben diese verstörenden, schwarzen  Leichensäcke: Die Künstlerin Pia Kintrup konnte für ihre Installation keinen besseren Ort finden, als die xpon Art Gallery mit ihrem sehr speziellen, beinahe umheimlichen Kellergewölbe: Viel Raum für eine Installation, die ungewöhnlich bedrückend wirkte mit all den realen Zutaten – ein Jahr nach den Gewaltexzessen der chinesischen Polizei gegen Demonstranten in Hongkong. Insofern ein ungewöhnlich politisches und bewegendes Thema während des ansonsten bunten und fröhlichen Hamburger Kultursommers.

© Pia Kintrup, xpon Art Gallery, 2021

Die Galerie im Münzviertel hatte der Künstlerin aus Düsseldorf den kompletten Raum im Souterrain der Galerie angeboten – und das hat sich gelohnt, entsprechend eindringlich war die Wirkung auf die Besucher. Es war insofern eine außergewöhnliche Ausstellung im Hamburger Kultursommer.

Augenzeugin im Chaos von Hongkong

Wie kommt eine junge Künstlerin ausgerechnet an dieses hochpolitische Thema? Ich treffe Pia Kintrup in einem Café in Hamburg-Eppendorf. Sie erzählt, dass sie eine besondere Verbindung zu Hongkong hat – denn die Künstlerin hat die Stadt in den vergangenen Jahren oft besucht, sie hat sich dort sogar heimisch gefühlt.

Vor zwei Jahren wurde es ernst. Chinesische Polizei marschierte auf – die Situation eskalierte. Und Pia Kintrup war mittendrin, als Polizisten mit Tränengas in die Menge geschossen haben und auf Demonstranten einprügelten.

© Pia Kintrup in der xpon Art Gallery

Die Künstlerin berichtet mir von all den Schrecken, die sich in der Stadt ereignet haben. Und ganz nebenbei fällt mir auf, dass es in deutschen Medien sonderbar ruhig geworden ist, seit dem in Hongkong keine Barrikaden mehr brennen.

Einen Packen mit Zeitungen hat sie auf ihrem Rückflug aus Hongkong heraus geschmuggelt. Darunter eine der letzten Zeitungen, die noch offen über die Übergriffe der Polizei berichtet hat.

Zeitung „Apple Daily“ aus Hongkong
Zeitung „Apple Daily“ aus Hongkong

„Liberate Hong Kong, Revolution of Our Time“

Die Ausstellung zeigte einige Rollen aus Kalligrafiepapier mit chinesischen Schriftzeichen und einem brisanten Inhalt: „Liberate Hong Kong, Revolution of Our Time“ lautet der wiederkehrende Schriftzug. Das war der populäre Slogan der Aktivisten in Hongkong. Für dieses Objekt hat sich die Künstlerin originaler Zutaten bedient. Kalligrafiepapier, Ziegenhaarpinsel und die Tinte sind original chinesisch. Hintergrund: Im Sommer 2021 wurde der ersten Fall nach dem neuen umstrittenen Sicherheitsgesetz verhandelt. Dem 24jährigen Tong Ying-kit wurde zur Last gelegt, während einer Demonstration mit dem Motorrad eine Polizeisperre durchbrochen zu haben, dabei seien drei Polizisten verletzt worden. Verurteilt wurde er wegen Anstachelung zum Terrorismus und zum Separatismus. Zentraler Punkt in dem Prozess war die an dem Motorrad befestigte Fahne mit der Aufschrift: „Liberate Hong Kong, Revolution of Our Time“.

© Imago Aktivist Tong Ying-kit mit der Fahne am Motorrad

Diese Parole verstößt gegen das neue Sicherheitsgesetz und ist damit illegal.  „Deshalb habe ich das hier geschrieben, für alle, die das in Hongkong nicht mehr schreiben dürfen“, sagt die Künstlerin. Der Demonstrant Tong Ying-kit wurde zu neun Jahren Haft verurteilt, der Staatsanwalt hatte drei Jahre Haft gefordert.

Kalligrafierollen in der xpon Art Gallery
„Liberate Hongkong, Revolution of Our Time“

5 Fragen an Pia Kintrup

Hamburg Arts: Wie geht es Dir heute, nach der Ausstellung, wenn Du an Hongkong denkst?
Pia Kintrup: „Hongkong war vom ersten Tag an „mein Ort“, das ist jetzt erledigt, das ist ganz bitter. Für mich ist das ein großer Verlust. Ich kann auch nicht dahin zurück, das wäre viel zu gefährlich. Ich kann nicht einmal Emails dorthin schicken, das wäre zu gefährlich für die Menschen dort.“
Wie denkst Du über die Ausstellung in der xpon Art Gallery?
Pia Kintrup: „Ich fand es toll, dass die Galerie, sich das traut. Dass man die Freiheit nutzt, die wir in Deutschland haben. Das wird viel zu selten gemacht. Es ist ein Privileg, hier zu leben.“
Was hast Du für Dich als Künstlerin daraus gezogen?
Pia Kintrup: „Für mich war das ein klarer, bedeutsamer Auftritt. Dieser große Raum ganz für mich, da nimmt man Stellung. Ich war aber auch total erleichtert, als es dann vorbei war. Denn das war meine schwierigste Arbeit überhaupt. Für mich war es eine persönliche Hölle, ich habe das tagelang aufgebaut, das waren ja allein 260 Steine.“
Wie ist Deine künstlerische Arbeitsweise?
Pia Kintrup: „Ich arbeite im großen und Ganzen multimedial und verstehe mich inzwischen mehr als Visual Artist denn als Fotografin. Schon während des Studiums war schnell klar, dass ich mich nicht ausschließlich fotografisch oder über künstlerische Fotografie definieren kann. Ich war immer eine Art Grenzgängerin unter den Kommilitonen, und ich habe mir Wissen und handwerkliche Fähigkeiten aus allen Sparten geholt, die ich brauchen konnte. Zwischendurch wusste niemand mehr, für was ich eigentlich eingeschrieben war. Ich habe mich auch mit Bildhauerei beschäftigt, mit surrealem Film und experimenteller Gestaltung. Deshalb arbeite ich heute so frei“
Künstlerin Pia Kintrup vor der Skyline von Hongkong
Wie geht es jetzt den Menschen in Hongkong?
Pia Kintrup: „Die Menschen sind verzweifelt und wehrlos. Sie wollen einfach nicht vom Machtapparat Chinas aufgesogen werden. Ich sah Szenen auf den Strassen mit blutenden Menschen, die Polizei hat Hilfe nicht zugelassen. Sie haben Jugendliche geschlagen, und sogar Schwangere. Außerdem waren Schlägertrupps unterwegs. In der Metro hatten alle grosse Angst, alle blickten zu den Türen der Bahn.“

Hongkong: Szenen ausufernder Gewalt

Die Angst vor der chinesischen Polizei ist begründet. Am 31. August vor zwei Jahren kam es auf der Prince Edward Station in Hongkong zu schweren, gewalttätigen Übergriffen zahlreicher Einsatzkräfte: Polizisten versuchten, Demonstranten in der Metro festzunehmen, und haben dabei auch willkürlich und brutal harmlose Passagiere angegriffen. Dieser Einsatz ist mit Fotos und Videos dokumentiert.

© www.chinatimes.com/?chdt - wikimedia commons
© www.chinatimes.com/?chdt – Wikimedia Commons
© CC by 4.0 Pakkin Leung @Rice Post, Wikimedia Commons

Update: Hongkong heute, Dezember 2021

Die US-Regierung hat aktuell angekündigt, den olympischen Winterspielen in China fernzubleiben, und die Spiele damit diplomatisch zu boykottieren. Amerikanische Sportler können dennoch an den Spielen teilnehmen.

Das von China erlassene neue Sicherheitsgesetz wurde international scharf kritisiert. Nach wie vor werden Bürgerrechtler und Demokratie-Aktivisten in Hongkong verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Ende Oktober hat Amnesty International das Büro in Hongkong geschlossen, da das von China durchgesetzte umstrittene Sicherheitsgesetz ihre Arbeit unmöglich mache. Im März 2021 wurde das Wahlrecht in Hongkong reformiert, womit China laut europäischen Medienberichten die Demokratie ausgehebelt hat. Es gebe damit praktisch nur noch Peking-treue Vertreter im Parlament von Hongkong. Und das bekommen die Einwohner schon direkt zu spüren. Eine wichtige Skulptur („Die Säule der Schande“), geschaffen vom dänischen Künstlers Jens Galschiøt,  wurde am 23. Dezember 2021 überraschend abgebaut. Das kritische Kunstwerk erinnert an das Tiananmen-Massaker von 1989.

 © PSH851 - Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3989160
© PSH851 – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org
Ausstellung in der xpon Art Gallery im Hamburger Kultursommer 2021: „HONG KONG.“ Wer kommt als Nächstes?
Copyright Fotos der Ausstellung: Pia Kintrup
Link zur Website der Künstlerin

https://www.piakintrup.com/

Link zur xpon Art Gallery in Hamburg

http://www.xpon-art.de/

Link zum Foto Säule der Schande, Wikimedia commons

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:HKU_Pillar_of_Shame_in_Orange_Color_05a.jpg

Autor: Kay Dethlefs