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Das Interesse der documenta-Besucher an den Werken des Kollektivs Taring Padi ist enorm, laut Pressestelle der documenta ist das ehemalige Hallenbad einer der meist besuchten Kunstorte. Wochenlang hatten die Künstler wegen ihres Banners „People’s Justice“ unfreiwillig für Schlagzeilen gesorgt. Zum Glück war das umstrittene und nach Antisemitismus-Vorwürfen  abgehängte Wandbild nur eines von mehreren ihrer Werke in Kassel, sodass Besucher  in der Schwimmhalle Ost jetzt Gelegenheit haben, sich in Ruhe die Objekte direkt und genauer anzusehen.

Besuchermagnet Schwimmhalle Ost in Kassel

Die Stimmung bei meinem Besuch war entspannt, einige Besucher suchten das Gespräch mit den Aktivist:innen, die viele ihrer Drucke und T-Shirts verkaufen konnten. Unter ihnen war Sri Maryanto, ein Taring Padi-Künstler, der seit zehn Jahren in München lebt und fließend deutsch spricht. Ich bin neugierig und gespannt auf dieses Kollektiv aus Indonesien, von dem wir so wenig wissen. Was treibt sie an? Wo leben sie? Wofür stehen sie? Wie läuft die Zusammenarbeit in einem Kollektiv? Der Künstler sagt, er gehöre zur „zweiten Generation von Taring Padi“, was praktisch bedeutet, dass er an dem umstrittenen Banner vor 20 Jahren nicht mit gearbeitet hat. Sri Maryanto ist freundlich und umgänglich, sodass wir schnell beim „Du“ gelandet sind. Das war am Tag seiner Abreise, danach habe ich ihm einige Fragen zugeschickt, die mir Sri Maryanto im Detail beantwortet hat.

Taring Padi-Künstler und Aktivist Sri Maryanto in Kassel
Kay Dethlefs: Wie bist Du zu Taring Padi gekommen? Und was verbindest Du mit Taring Padi?
Sri Maryanto: „Ich habe 1999 in Yogyakarta mein Kunststudium begonnen. Damals habe ich mit Kommilitonen die Gruppe Sanggar Caping gegründet. Mit diesem Kollektiv habe ich Taring Padi kennengelernt, die Kollektive haben oft zusammengearbeitet. Als 2004 die Struktur Taring Padis von einer geschlossenen Organisation in ein Kollektiv umgewandelt wurde, begann ich aktiv mitzuwirken.“
Was bedeutet der Begriff Taring Padi, kann man das übersetzen?
Sri Maryanto: „Taring Padi“ als ein Begriff ist ein kleines Haar an der Spitze ungeschälter Reiskörner. Wird die Ähre geerntet, löst sich dieses kleine Haar, und fliegt davon, berührt es die Haut, wird eine allergische Reaktion oder Juckreiz ausgelöst, ähnlich wie bei Juckpulver. Das ist die Philosophie Taring Padis, so klein wir sind wird die Haut der großen Mächte, die wir kritisieren gereizt. Taring: Reißzähne (Eckzähne), Padi: Reisähre.

Welche Werte verbindest Du mit Taring Padi? Gibt es eine Art Philosophie, die Taring Padi vertritt?

Sri Maryanto: „Gerechtigkeit, Freundschaft und Solidarität. Kunst ist für Taring Padi ein politisches Werkzeug, um unsere Idee gegen Ausbeutung und Gewalt darzustellen. Befreiungskunst.“
Wo überall leben die Mitglieder von Taring Padi?
Sri Maryanto: „Am Anfang lebten wir alle in Yogyakarta, wo wir uns kennengelernt haben, aber inzwischen leben wir verteilt auf der ganzen Welt. Auch wenn die meisten noch in Yogyakarta, Indonesien leben, wo sich unser Basecamp befindet. Einige wohnen im Ausland z.B. in Deutschland, Australien, Amerika, England, Schweden und Timor Leste.“
Was genau machen die Künstler jeweils in diesen Orten?
Sri Maryanto: „Jedes Mitglied des Kollektivs hat ein eigenes Leben wie alle anderen Menschen auch. Sie arbeiten, die meisten sind als Künstler tätig, viele haben andere Berufe, um den Lebensunterhalt zu finanzieren.“
Was zum Beispiel machst und produzierst Du als Künstler in München?
Sri Maryanto: „Ich habe Freie Kunst im Fach Malerei und Grafik studiert, letzten Februar habe ich mein Studium mit Diplom an der AdBK München abgeschlossen. Neben Malerei mache ich Druckgraphik, z.B. Hochdruck, Flachdruck, Siebdruck, und Tiefdruck, aber auch Objekte.“
Inwieweit ist es ein Kollektiv, wie kommt das Kollektiv zusammen?
Sri Maryanto: „Alle Themen werden in der Gemeinschaft besprochen, alle Entscheidungen werden in unserem Kollektiv gemeinsam gefällt. Die Stimmen aller Mitglieder sind gleichwertig. Kollektive bilden sich durch Freundschaft und die gemeinsame Ideologie. In unserem Künstlerkollektiv sind keine individuellen Namen innerhalb der Kunst vertreten. Alle für und in dem Kollektiv entstandenen Arbeiten sind Kollektivarbeiten, der Name des Künstlers spielt keine Rolle mehr.“
Wie tauscht sich das Kollektiv aus – auf diese große Entfernung?
Sri Maryanto: „Heutzutage gibt es glücklicherweise Technologien, die uns die Probleme in der Kommunikation auf die Entfernung lösen.“
Und wie wird dann gemeinsam gearbeitet? Was sind die Themen?
Sri Maryanto: „Wir diskutieren zunächst das Thema, oft wird ein Experte von außerhalb des Kollektivs eingeladen, mit dem ein Thema tiefgründig besprochen wird. Danach werden die Aufgaben verteilt. Einige Künstler entwickeln die Komposition und die Skizze eines Werkes. Dann wird gemeinsam die Komposition auf den Bildträger (Leinwand, Hardboard etc.) übertragen, dann wird gemeinsam gemalt. Natürlich hat jeder Künstler seine eigene Technik, den individuellen Pinselstrich, aber durch die gemeinsame Arbeit relativiert sich dieser in der Gesamtheit. Es kommt oft zu Improvisationen aber die zu Beginn entwickelte Komposition, oder Skizze bleibt erhalten.“

„Wir solidarisieren uns mit den Menschen die soziale oder wirtschaftliche Ungerechtigkeit erfahren und geben ihnen eine (visuelle) Stimme. Wir besprechen soziale und politische Ungerechtigkeiten, thematisieren Umweltprobleme und ihre Zusammenhänge mit Wirtschaft und Technologie. Hier haben wir auch keine Scheu einzelne Unternehmen anzugreifen. Das Ziel unserer Arbeit ist, dass die Ungerechtigkeit mehr Aufmerksamkeit von der Öffentlichkeit bekommt und im Idealfall ein Dialog stattfindet, um dieses Problem zu lösen.“

Eine Frage zu einem grossen Wandbild in der Schwimmhalle Ost. Das ist ja ein neues Werk. Wo ist das eigentlich entstanden? Habt ihr Euch dafür getroffen? Oder wie lief das praktisch ab?
Sri Maryanto: „Das Bild „Sekarang Mereka Besok Kita“ wurde in Indonesien geschaffen. Wir haben zum Glück ein Basecamp. Dort finden regelmäßige Treffen statt, um Projekte zu besprechen und umzusetzen.“
Was ist der Hintergrund und die generelle Aussage dieses neuen Wandbildes?
Sri Maryanto: „Die Übersetzung von „Sekarang Mereka, Besok Kita“ ist: „Jetzt trifft es sie, morgen trifft es uns alle“. Es ist zu verstehen als Solidaritätsaktion mit unterdrückten Menschen, die unter dem gierigen, kapitalistischen System leiden, dem auch wir irgendwann zum Opfer fallen können. Der Satz ist auch als Mahnung zu verstehen vor der großen Gefahr der Umweltprobleme, deren Auswirkungen in der Zukunft uns alle, ohne Ausnahme treffen werden.“
Wandbild „Sekarang Mereka, Besok Kita“
Tarin Padi Wandbild: „Jetzt trifft es sie, morgen trifft es uns alle“

„Wir wollen als Kollektiv in Erinnerung bleiben, das kompromisslos Ungerechtigkeiten anzeigt und bekämpft.“
– Sri Maryanto, Taring Padi
Wayang Kardus, Pappfiguren, politischer Protest

Vor der Schwimmhalle stehen diese vielen bunten Aufsteller, was kannst du dazu sagen? Wie kann man diese Kunstform benennen und beschreiben, die sich ja gegen bestehen ungerechte politische Verhältnisse wendet?

Sri Maryanto: „Die Aufsteller sind Wayang Kardus, Pappfiguren, inspiriert von den klassischen javanischen Schattenspielfiguren. Neben den Aussagen, die durch die Wayang Kardus visualisiert werden, dienen sie während einer Demonstration auch ganz banal als Schattenspender. Zugleich können wir uns im Notfall mit den Bambusstöcken vor der Willkür der Polizeigewalt schützen. Außerdem wirkt eine Demonstration die sich vieler solcher Wayang Kardus bedient viel größer, wir verdoppeln dadurch quasi die Menschenmasse.“
Das Banner „People’s Justice“ auf dem Friedrichsplatz, erst aufgebaut, dann verhüllt, dann abgebaut Foto: Andreas Weber
„Unser eigentliches Highlight für die Documenta fifteen war die Solidaritätsaktion „1000 Wayang Kardus“. Diese Pappfiguren wurden in unterschiedlichen Workshops weltweit geschaffen und wurden am Friedrichsplatz auf- und ausgestellt. Die Themen der Wayang Kardus wurden von den Workshop-Teilnehmern entwickelt, jeder gestaltete die Wayang zu dem Thema, welches sie betraf oder beschäftigte.“

Eine Frage zur Geschichte von Taring Padi. Wo liegt der Ursprung? Was war historisch der Auslöser?

Sri Maryanto: „Die erste Generation Taring Padis ist in einer Militärdiktatur geboren und aufgewachsen. Als Kunststudenten waren sie aktiv an dem Sturz des Diktators Suharto beteiligt. Während der Militärdiktatur unterlag das Volk einer Zensur. Mit dem Sturz des Diktators begann eine Zeitwende, wir konnten unsere Stimme erheben, auf Ungerechtigkeiten aufmerksam machen. Die Schreie, die wir während der Militärdiktatur heruntergeschluckt haben, konnten nun mit voller Gewalt herausgebrüllt werden.“

„Kunst ist unser politisches Werkzeug, um den unterdrückten Menschen eine Stimme zu geben. Befreiungskunst.“
– Sri Maryanto, Taring Padi
In dem Video über Taring Padi, das am Eingang zum Hallenbad Ost zu sehen ist, sagt ein Künstler, dass es damals lebensgefährlich war, zu demonstrieren. Es gab Scharfschützen. Wie kann man diese Situation umschreiben?
Sri Maryanto: „Keiner, der gegenüber der damaligen Regierung kritisch war, war sicher. Die Gemeinschaft im Kampf stärkte unseren Willen und den Mut, weiter zu protestieren.“
Ist eigentlich Taring Padi zur Zeit in Indonesien politisch aktiv? Wenn ja, auf welche Weise?
Sri Maryanto: „Unsere Kunst ist seit Beginn und ausnahmslos politisch. Kunst ist unser politisches Werkzeug, um den unterdrückten Menschen eine Stimme zu geben. Befreiungskunst.“
Was soll nach der documenta von Taring Padi in Erinnerung bleiben, was wollt Ihr vermitteln und mitgeben?
Sri Maryanto:  „Wir wollen als Kollektiv in Erinnerung bleiben, das kompromisslos Ungerechtigkeiten anzeigt und bekämpft. Durch das erweiterte Netzwerk, und die Zusammenarbeit können wir mehr Aufmerksamkeit gewinnen. Die documenta hat uns wieder gezeigt, wie wichtig es ist, miteinander, voneinander und gemeinsam zu lernen, um eine bessere Welt zu verwirklichen. Jetzt ist die Gesellschaft am Zug.“
Vielen Dank.
Hier der Link zu meinem Gespräch mit Mohammad Yusuf von Taring Padi. Der Künstler hat damals, das heißt vor rund 20 Jahren, an dem umstrittenen Wandbild „People’s Justice“ mitgearbeitet.

https://hamburgarts.de/documenta-fifteen-interview-taring-padi/

Hier der Link zum Video: Geschichte der Taring Padi-Aktivisten auf YouTube.

Autor: Kay Dethlefs